
Rund 15 Prozent aller Minderjährigen lebten 2015 von staatlicher Grundsicherung. Im Vergleich zu 2011 stieg die Quote um 0.5 Prozent. Die Hälfte dieser Kinder wächst mit nur einem Elternteil auf; 36 Prozent stammen aus einer Familie mit mehr als drei Kindern. Auch die Dauer, während der die jungen Menschen von Hartz IV leben, ist lang: Für 57,2 Prozent der 7 bis 15-Jährigen betrug sie drei und mehr Jahre.
Folgen der Kinderarmut
„Die Studie bestätig unsere Einschätzung“, sagt Christiane Reckmann, Vorsitzende des Zukunftsforums Familie, das zur Arbeiterwohlfahrt (AWO) gehört. Der Verein setzt sich für eine Familienpolitik ein, die Brüche im Lebenslauf und moderne Familienkonstellationen in den Fokus rückt. Angesichts der aktuellen Zahlen stellt Reckmann fast: „Kinder dürfen kein Armutsrisikosein.“
Auch auf die Folgen der Kinderarmut geht die Bertelsmann-Studie ein. Die betroffenen unter 18-Jährigen ernähren sich ungesünder als Gleichaltrige, schneiden in der Schule schlechter ab und zählen häufig zu den Außenseitern. Wie stark die Auswirkungen konkret sind, ist nicht ganz klar: Die Folgen der Kinderarmut würden weder systematisch noch regelmäßig erfasst, kritisiert die Studie.
Bestehende Ansätze reichen nicht aus
Um mehr Chancengleichheit herzustellen, gibt es seit 2011 das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung. Es ermöglicht Eltern, die von der Grundsicherung leben, Gutscheine und Sachleistungen für ihre Kinder bei den Kommunen zu beantragen. Die Möglichkeit wird aber kaum genutzt. „Viele Eltern wissen gar nichts von den Gutscheinen. Anderen ist der bürokratische Aufwand zu groß“, erklärt Reckmann.
Für Alleinerziehende gibt es einen steuerlichen Entlastungsbetrag, den sie zusätzlich zu Kindergeld oder steuerlichem Kinderfreibetrag in Anspruch nehmen können. Die Bundesregierung hat ihn vergangenes Jahr von 1308 Euro um 600 auf 1908 angehoben, also um rund 50 Prozent. „So können Alleinerziehende, die berufstätig sind, am Ende des Monats viel mehr Geld übrig behalten“, sagt SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. Auch die Betreuungszeit von Kitas, die derzeit häufig nur bis in den Nachmittag reicht, soll ausgebaut werden. Zudem will die Bundesregierung das Kindergeld um zwei Euro erhöhen.
Das alles hilft Kindern von arbeitslosen Eltern allerdings nicht. Auch die Kindergelderhöhung ist für sie nur eine scheinbare Verbesserung. „ Das Kindergeld wird auf die Leistungen nach dem SGB II angerechnet, für arme Haushalte würde sich also nichts ändern “, erklärt Reckmann.
Ungleiche Verteilung
Sie kritisiert den bestehenden Ansatz, den Bedarf der Kinder vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen und sich auf die Existentsicherung zu beschränken. „Alle Kinder sollten uns gleich viel wert sein. Daher müssen sich die Sozialleistungen an einer realitätsgenauen Bestimmung dessen festmachen, was ein Kind braucht", fordert Reckmann.
Der Hartz IV-Satz, den Erwerbslose und Geringverdiener für ein Kind erhalten, liegt derzeit – je nach Anzahl und Alter der Kinder – zwischen 237 und 306 Euro pro Monat. Damit wird nur das „sächliche Existenzminimum“ abgedeckt, also Dinge wie Nahrung, Kleidung, Wohnung und Medikamente. Eltern mit Arbeit erhalten ein Kindergeld zwischen 190 und 221 Euro pro Kind. Verdienen sie gut, können sie stattdessen aber auch den steuerlichen Kinderfreibetrag wählen, welcher bei bis zu 290 Euro pro Monat liegt. Die Kinder Besserverdienender profitieren finanziell also deutlich stärker vom Staat.
Lösungsvorschlag der Kindergrundsicherung
Das Zukunftsforum Familie fordert daher, das bisherige System durch eine Kindergrundsicherung in Höhe von 564 Euro zu ersetzen. Der Verein stützt sich auf den Existenzminimumsbericht der Bundesregierung und leitet daraus ab: 384 Euro bräuchten Kinder für die Sicherung aller materieller Grundlagen; 180 Euro werden für Betreuung und Ausbildung veranschlagt. Es gehe darum, die Grundsicherung nicht teilweise willkürlich festzulegen, so wie das bisher geschehe, sondern auf Basis empirischer Untersuchungen, betont Christiane Reckmann.
Ein häufig erhobenes Argument gegen eine Erhöhung der Sozialleistungen lautet, dass nicht sichergestellt werden könne, ob Eltern das Geld tatsächlich für ihre Kinder ausgegeben würden. "Ich kenne den Vorwurf, aber die Studien beweisen das Gegenteil, die meisten Eltern sparen eher bei sich als bei ihren Kindern. Einem solchen Generalverdacht sollten wir entgegentreten. Die Kindergrundsicherung wäre ein guter Ansatz den Armutskreislauf zu durchbrechen.“