
Jean-Claude Juncker hat Europa gedient. Fünf Jahre leitete er als bekennender Pro-Europäer die EU-Kommission, die Regeln für Europa vorschlägt. Dafür gebührt ihm, in Zeiten, in denen die EU von außen und innen von Nationalisten bedroht wird, Respekt.
Zugleich muss deutlich werden, was nicht funktioniert hat. Sein Versprechen, der EU ein „soziales Triple A“ zu verschaffen, hat der scheidende Kommissionspräsident nicht gehalten. Die sogenannte Europäische Säule sozialer Rechte blieb ein symbolischer Türöffner. Zu oft haben die Mitgliedstaaten gebremst. Immerhin wurde das soziale Europa durch den Druck der europäischen Sozialdemokratie nach Jahren der Stagnation wieder auf die EU-Agenda gesetzt.
Wir brauchen die Sozialunion
Jetzt gilt es, dies unter der Kommission von Ursula von der Leyen durch handfeste Sozialgesetze umzusetzen. Diese Neuerungen müssen die Europäerinnen und Europäer so positiv spüren wie den Wegfall der Roaming-Gebühren – allerdings auf dem Gehaltszettel oder bei den Arbeitsbedingungen. Wichtig ist, die Menschen auch in Krisen vor Dumping-Wettbewerb und Arbeitslosigkeit zu schützen. Zusätzlich zur Wirtschafts- und Währungsunion müssen wir eine Sozialunion schaffen.
Fortschritte gab es in der vergangenen Mandatszeit durchaus. Auf Drängen der Sozialdemokratie hat Jean-Claude Juncker einige sinnvolle EU-Projekte angeschoben: etwa den Europäischen Investitionsfonds oder die Überarbeitung der Entsenderichtlinie. Dadurch kann in faire Arbeit und nachhaltige Projekte investiert werden – und entsandte Beschäftigte, die in Deutschland zum Beispiel auf Baustellen und in Schlachthöfen arbeiten, werden besser vor Ausbeutung geschützt.
Wichtig in der vergangenen Legislaturperiode war auch die ehrgeizige Begrenzung des CO2-Ausstoßes von Autos in der EU. Bei solchen Gesetzgebungen muss die kommende EU-Kommission nachlegen, um die sozialökologische Wende zu schaffen.
Verschleppungstaktik der Staats- und Regierungschefs
Bei aller Kritik an der konservativ dominierten EU-Kommission: Dort – sowie auch im Parlament – sitzen nicht die Hauptverantwortlichen für eine dysfunktionale EU. Was die EU als Ganzes derzeit am meisten gefährdet, ist der mangelnde Wille der Mitgliedstaaten, sich zu einigen. Die Staats- und Regierungschefs verschleppen seit langem Entscheidungen über eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion oder die weitere Demokratisierung der EU. Auch gibt es einen sinnvollen Plan für die EU-Asylpolitik, den das Europäische Parlament mit Mehrheit beschlossen hat, die Staats- und Regierungschefs aber blockieren.
Jean-Claude Juncker hat zumindest eine Kommissionspolitik etabliert, die unabhängiger von den Staats- und Regierungschefs im Rat gearbeitet hat. Sein Vorgänger José Barroso hat regelmäßig in den europäischen Hauptstädten angerufen, um zu fragen, ob er sich zum Frühstück Tee oder Kaffee kochen soll. Im Falle Junckers hat geholfen, dass er nach dem demokratischen Spitzenkandidaten-Prinzip gewählt war, für das wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns weiter starkmachen werden.