Energiepolitik

Warum Frankreich große Probleme mit seinen Atomkraftwerken hat

Kay Walter31. Januar 2022
Kühltürme eines französischen Atomkraftwerkes: Frankreich setzt auf den Ausbau seiner Kernenergie, Deutschland auf den Ausbau Erneuerbarer Energien.
Kühltürme eines französischen Atomkraftwerkes: Frankreich setzt auf den Ausbau seiner Kernenergie, Deutschland auf den Ausbau Erneuerbarer Energien.
Trotz „grüner“ Atomkraft: Frankreich verfehlt die EU-Klimaziele – und zwar deutlich. Zudem muss ständig Strom im benachbarten Ausland gekauft werden, weil die 56 Atommeiler im Land nicht genügend Energie produzieren und oft marode sind.

Kernenergie sei eine Zukunftstechnologie, wird von interessierter Seite nicht allein in Frankreich häufig behauptet. Sie sei nachhaltig, vor allem CO2-frei und der produzierte Strom sei besonders kostengünstig. Alle bisherigen Ausstiegsbeschlüsse – einen solchen gibt es auch in Frankreich – müssten daher dringend geändert werden.

Hier ein Blick auf die Fakten: Es stimmt, die Produktion von Atomenergie kommt weitgehend ohne CO2- Emissionen aus, vorausgesetzt man lässt den Anlagenbau selbst, alle Reparaturarbeiten und den Transport der Brennstäbe außer Acht. CO2 ist ein wichtiger Faktor, doch davon allein wird Energie nicht nachhaltig.

Keine Lösung für Entsorgung des Atommülls

Die Entsorgung der Brennstäbe bleibt ein ungelöstes Problem. Weltweit existiert kein Endlager, nirgends. Eine jüngst in Schweden erteilte Genehmigung ist nicht rechtskräftig, geschweige denn das Endlager gebaut. Der französische Atommüll wird in La Hague wiederaufbereitet. Ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle ist La Hague aber nicht. Und: Das Lagerbecken wird 2030 voll sein. Ein weiteres Becken ist in Planung. Baukosten sind nicht beziffert.

Dafür ist ebenfalls weltweit kein einziges AKW versichert, weil es keine Versicherung gibt, die ein solches Risiko auch nur beziffern könnte. Klar ist, die Unglücke von Sellafield, Tschnernobyl oder Fukushima werden selbst in den vorsichtigen Schätzungen mit Summen zwischen 500 Milliarden und mehr als einer Billion Euro bilanziert. Dabei sind „Schäden“ an Menschenleben oder der Natur nicht erfasst, sondern lediglich die nirgends abgeschlossenen Aufräumarbeiten.

Auch neue AKWs sind fehleranfällig

Die „neuen“ Atomkraftwerke seien viel sicherer, heißt es von Betreiberseite. Doch in Frankreich, dass rund 70 Prozent seines Stroms in den 56 bestehenden Kraftwerken nuklear erzeugt, sind derzeit zehn Reaktoren aus Sicherheitsgründen oder wegen notwendiger Reparaturen abgeschaltet. Vor vier Wochen waren es 17.

Das betrifft beileibe nicht nur die ältesten Anlagen, denen der Staat soeben eine Verlängerung der Maximallaufzeit von 40 auf 60 Jahre spendiert hat, weil sie sonst die Grenze ihrer Betriebsdauer überschritten hätten. Auch die neuesten, leistungsstärksten Reaktoren mussten aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden, zwei in Chooz nahe der belgischen Grenze, zwei in Civeaux im Westen des Landes. Wie auch in Penly in der Normandie sind Risse in der Nähe von Schweißnähten der Rohrleitungen die Ursache. Bislang wurde daraus kein gravierendes Sicherheitsproblem. Die Schäden wurden rechtzeitig entdeckt. Aber bisweilen ist ein Drittel der Anlagen abgeschaltet.

Frankreich muss Strom von allen Nachbarn importieren

Im Dezember 2021 musste Frankreich Strom aus allen umliegenden Ländern importieren. Bis zu einer Gesamtkapazität von 13 Gigawatt. Die französische Abhängigkeit vom Atomstrom verhindert eine funktionierende Grundversorgung. Der Netzbetreiber RTE kündigte an, im Fall einer Kältewelle Industriebetriebe herunterfahren zu müssen. Auch Stromausfälle in Privathaushalten seien nicht auszuschließen. Überhaupt muss Frankreich in Kältewellen Strom zukaufen, weil das Gros der Gebäude bei mangelhafter Isolierung mit Strom geheizt wird. In Hitzewellen gibt es dafür regelmäßig zu wenig Kühlwasser für einige AKWs.

Die Behauptung, dass gesamte System sei völlig marode, ist vielleicht übertrieben, aber selbst der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sagt: „Allein für die bestehenden Kernkraftwerke werden bis 2030 Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro erforderlich sein. Und für die neue Generation werden 500 Milliarden benötigt.“ Der französische Rechnungshof schätzt, dass es bis 2030 Hundert Milliarden Euro kosten wird, die Stromproduktion zu modernisieren. Das ist der dreifache Börsenwert des staatlichen Stromerzeugers EDF.

Das Märchen vom günstigen Atomstrom

Für die These, Atomstrom sei günstig gibt es keinerlei Beweis. Sie ist im Gegenteil schlicht falsch. Rechnet man mit den Neubaukosten der Anlagen, kostet die Megawattstunde Strom aus Photovoltaik oder Wind höchstens ein Fünftel von Atomstrom. Damit zum Neubau. Der Reaktor Flamanville, im Jahr 2000 als Stolz der französischen Atomindustrie und garantierter Exportschlager angekündigt, sollte für 3,4 Milliarden Euro gebaut werden und 2012 ans Netz gehen. Was folgte war die französische Variante des Berliner Flughafens: Die Baukosten werden bei mindestens 19 Milliarden liegen, wenn, ja wenn der Reaktor möglicherweise 2023 ans Netz gehen sollte.

Anders als der Bergbau, zahlt die Kernenergie zudem keine Ewigkeitskosten. Die werden qua Steuern auf die Allgemeinheit abgewälzt. Das Gleiche gilt für Forschungs- und Baukosten der Kraftwerke. Doch der Konzern Électricité de France (EDF), der zu 84 Prozent dem französischen Staat gehört, ist gleichwohl in einer desaströsen Finanzlage mit Nettoschulden (ohne Zinsen) in Höhe von 42 Milliarden Euro. Ein Privatunternehmen wäre pleite. Die EDF bekommt dagegen weiter Milliarden an Steuersubventionen. Doch auch damit bekommt sie weder den Reaktor Flamanville, noch einen baugleichen in Finnland in Betrieb. Dafür errichtet sie noch zwei weitere im britischen Hinkley Point. Alle mit den nämlichen Kostensteigerungen und den identischen technischen Problemen.

Atomkraft und die grüne Taxonomie der EU

Bleiben die von Emmanuel Macron angepriesenen neuartigen kleinen, sogenannten „Small Modular Reactors“ (smr). Stückpreis – in der Konzeption – eine Milliarde Dollar. Bauen soll diese smr die EDF. Dumm nur, dass die EDF gar nicht über das technische Know-how verfügt. Zwar hat Frankreich für 4,5 Milliarden die ebenfalls staatlich Reaktorbausparte AREVA wieder in die EDF eingegliedert, aber auch die hinken fünf bis zehn Jahre hinter der internationalen Konkurrenz her. Die nächste Milliarde, die Macron als Steuersubvention für Bau und Entwicklung der smr angekündigt hat, wird nicht einmal ansatzweise reichen.

Deshalb die Idee, Atomkraft in die grüne Taxonomie der EU aufzunehmen. Dann, so der Plan dahinter, können Unternehmen im großen Stil in die Technologie investieren und damit – wie der Staat Frankreich – ihr eigenes Greenwashing betreiben.

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Kommentare

AKW's in Frankreich

Nachdem das ursprünglich im luxemburgischen Remerschen geplante AKW erfolgreich verhindert werden konnte, bauten die Franzosen wenige Kilometer moselaufwärts das permanent störanfällige AKW Cattenom.

Cattenom liegt 33 km nördlich von Metz, 48 km südwestlich von Trier, 46 km SSO von Luxemburg (Stadt) und 58 km WNW von Saarbrücken. Dies bedeutet, dass diese Städte im Falle einer größeren Katastrophe wie in Tschernobyl oder Fukushima mehr oder weniger ausgelöscht würden.

Das Großherzogtum Luxemburg ist in seiner kompletten Existenz von einem Super-GAU des Kernreaktors Cattenom bedroht.

In der Hauptwindrichtung (West) liegen auch deutsche Großstädte wie Frankfurt am Main, Mainz, Wiesbaden, Kaiserslautern, Darmstadt, Mannheim, Heidelberg und Karlsruhe.

Und dennoch gibt es Unverbesserliche, die Atomkraft als "umweltfreundliche Technologie" zu verkaufen versuchen. Haben diese Leute denn nichts aus den bisherigen Katastrophen gelernt?

ich denke, es kommen noch einige

Katastrophen hinzu, spätestens dann, wenn bei Windstille und bedeckten Himmel das Licht ausgeht und
lichtscheue Gestalten dies für Ihre Zwecke ausnutzen, so wie ja auch dem Raub im grünen Gewölbe ein Stromausfall zugrunde lag. Intensivstationen verfügen ja über Notstromaggregate, aber wer die nicht hat.....

Cattenom

Der Reaktor 4 laeuft auf reduzierter Leistung trotz groesster Stromknappheit:

https://www.edf.fr/groupe-edf/ambition-neutralite-co2-pour-edf-a-l-horiz...

Ich vermute dort leckt es seit geraumer Zeit.

ALLE AKWs sind marode

Im Artikel steht:
"Die Behauptung, dass gesamte System sei völlig marode, ist vielleicht übertrieben, aber selbst der französische EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton sagt ..."

Das ist faktisch falsch.Alle AKWs sind marode sagt die ASN (Aufsichtsbehoerde) im Exklusivinterview mit der Tribune:

https://www-latribune-fr.translate.goog/entreprises-finance/industrie/en...

Zuvor hatte die Gewerkschaft bereits bekannt gegeben das alle 1300 und 1500 MW Reaktoren i.A. sind:

https://www-montelnews-com.translate.goog/es/news/1295683/edf-ampla-las-...

Das neue Pruefverfahren mit Ultraschall war frueher nicht verfuegbar, erst seit den Faelschungsskadalen bei der Gieserei und Kanonenfabrik Creusot wurde solch ein Pruefgeraet angeschafft.
Wie die Tribune schreibt: "aus gutem Grund" gab es das vorher nicht.

Deutsche AKWs wurden im laufenden Betrieb nie mit Ultrraschall untersucht,oder? Ich nehme an aus gutem Grund ...

Update der ASN von heute

https://www-asn-fr.translate.goog/l-asn-informe/actualites/phenomene-de-...

Original:

https://www.asn.fr/l-asn-informe/actualites/phenomene-de-corrosion-sous-...

" Insbesondere überprüft EDF die Ergebnisse der zuvor an allen seinen Reaktoren durchgeführten Kontrollen, um nach möglichen Hinweisen zu suchen, die als parasitär eingestuft werden, aber einer Spannungsrisskorrosion entsprechen können."(Maschinenuebersetzung)

La Tribune hatte heute bereits den Chf der ASN interviewt der das bestaetigte, alle Reaktoren sind betroffen:

https://www-latribune-fr.translate.goog/entreprises-finance/industrie/en...

Das Märchen vom billigen Strom aus Photovoltaik

EDF produziert eine Kilowattstunde für 4,62 c, 24 Stunden am Tag.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/edf-tabubruch-kritik-re...

Deutsche Photovotaikanlagen aus dem Jahr 2004 bekommen noch zwei Jahre für eine Kilowattstunde 57,4 c.
https://www.sfv.de/artikel/eeg_20002004_einspeiseverguetung

Falscher Vergleich

Sie vergleichen an der Stelle einen von der französischen Regierung gedeckelten Strompreis mit der festgeschriebenen Vergütung von mit Photovoltaik erzeugten Strom in Deutschland, der ins Netz eingespeist wird aus dem Jahr 2006.

Das ist nichtmal ein Vergleich von Äpfeln und Birnen, sondern mit Kartoffeln und Himbeeren. Beides bezieht sich nicht auf die realen Erzeugungskosten und dazwischen liegt außerdem eine Zeitspanne von über 15 Jahren, verzerrt von EEG-Umlage in Deutschland und einem Kostendeckel in Frankreich.

Plausibler ist die Berechnung der Stromgestehungskosten des Frauenhofer-Instituts aus dem vergangenen Jahr: https://www.ise.fraunhofer.de/de/veroeffentlichungen/studien/studie-stro...