Interview mit Ralf Stegner

"CDU flieht vor der Verantwortung"

Dietrich Drescher22. Juli 2009

vorwärts: Am 27. September wird es in Schleswig-Holstein eine vorgezogene Landtagswahl geben. War das notwendig?



Ralf Stegner: Der amtierende Ministerpräsident und die CDU-Landtagsfraktion haben mutwillig den Koalitionsvertrag gebrochen. Neuwahlen in Schleswig-Holstein sind unumgänglich,
denn dieses Land braucht eine auf allen Positionen handlungsfähige Landesregierung und Regierungsfraktionen, die nicht ihr Parteiinteresse über das Wohl des Landes stellen.

Der Auflösung des Landtages hat die SPD-Fraktion nicht zugestimmt. Warum?

Ein Antrag, der mit der angeblichen Unzuverlässigkeit der SPD in der Politik der Regierungskoalition begründet wird, konnte nicht unsere Zustimmung finden. Nur wenige Stunden vor
Carstensens Pressekonferenz haben die Koalitionsfraktionen im Parlament einen Nachtragshaushalt beschlossen, wir haben den Antrag zu kleinen und mittleren Unternehmen eingebracht und
verabschiedet, die Kreisordnung hatte ihre erste Lesung. Die Beschlüsse des Koalitionsausschusses sind uns nicht leicht gefallen, aber wir haben sie konsequent umgesetzt. Die Behauptung, die SPD
wolle die Haushaltskonsolidierung nicht mittragen, ist nicht nachzuvollziehen.

Was steckt wirklich hinter dem Koalitionsbruch?

Die noch so treuherzige Rhetorik des Ministerpräsidenten kann über die parteitaktische und längst kalt vorbereitete Inszenierung nicht hinwegtäuschen. Die CDU wollte schon seit Monaten
gemeinsam mit der Bundestagswahl wählen, weil Sie gestützt auf Umfragewerte auf schwarz-gelbe Mehrheiten hofft, sich aber offenkundig den Sieg in einer Schleswig-Holstein-Wahl aus eigener Kraft
nicht zutraut. Deshalb wollen Sie kurz nach den Ferien und im Schatten der Kanzlerin mit möglichst wenig Krümmel und HSH-Nordbank wählen.



Welche Rolle spielen die Vorgänge um die HSH?

Der amtierende Ministerpräsident wollte davon ablenken, dass er bei der skandalösen Millionen-Sonderzahlung an HSH-Chef Nonnenmacher das Parlament wissentlich falsch informiert hat.
Staatskanzlei und Finanzminister haben in der Krise kläglich versagt. Sie wollten das Parlament regelrecht an der Nase herumführen.

Als der Landtag die Begrenzung der Managergehälter beschloss, war der Vertrag mit Nonnenmacher längst unterschrieben. Die Parlamentarier haben davon kein Wort erfahren. Die CDU muss die
Ergebnisse eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur HSH-Nordbank fürchten. Durch eine vorzeitige Neuwahl will sie sich dieses lästige Problem vom Hals schaffen.



Also eine Flucht aus der Verantwortung?

In der aktuellen wirtschaftlichen Situation, in der es tausende Kurzarbeiter gibt, viele Menschen vor der Entlassung stehen, in der Unternehmen vor dem Aus stehen, die Steuereinnahmen
einbrechen und die Sozialausgaben steigen, dürfte sich die Regierung nicht einfach vom Acker machen und aus der Verantwortung stehlen. Dabei bräuchte unser schönes Schleswig-Holstein gerade in
dieser schwierigen Wirtschafts- und Finanzkrise mehr denn je einen kompetenten, tatkräftigen und durchsetzungsfähigen Regierungs-Chef, der nicht ständig seine Meinung ändert, wenn der Wind von
vorne bläst.

Die Störfälle in Krümmel haben die Atomenergie wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Die CDU will die uneingeschränkte Nutzung der Kohleenergie und die Verlängerung von Laufzeiten bei der Atomenergie, in ihrem Kreisverband Steinburg sogar den Neubau von Atomkraftwerken. Ob
Krümmel oder CO2-Deponierung, die CDU vertritt, allen aktuellen Lippenbekenntnissen zum Trotz, die Interessen der Stromkonzerne, nicht die der besorgten Bürger.

Wie sieht die Linie für den Landtagswahlkampf aus?

Die SPD ist regierungsfähig und regierungswillig. Neuwahlen brauchen wir nicht zu fürchten. Die Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner sind für faire Bildungschancen ohne
Gebühren, eine Energiewende ohne Atom und für gute Arbeit, von der man leben kann. Die schwarz-gelbe Atom-, Studiengebühren- und Anti-Mindestlohn-Politik von gestern ist nicht mehrheitsfähig.
Wir haben die Zukunftskonzepte, die Innovation und Gerechtigkeit verbinden.

Interview: Dietrich Drescher

Quelle: vorwärts August 2009. Regionalausgabe Schleswig-Holstein