Europa

45 Jahre Nelkenrevolution: Wir wollen das europäische Versprechen erneuern

Andrea NahlesAntónio Costa25. April 2019
45 Jahre nach der Nelkervolution wollen Andrea Nahles und António Costa mit einer neuen progressiven Allianz mehr Gerechtigkeit und Solidarität in Europa schaffen.
45 Jahre nach der Nelkervolution wollen Andrea Nahles und António Costa mit einer neuen progressiven Allianz mehr Gerechtigkeit und Solidarität in Europa schaffen.
Am 25. April 1974 begann die Nelkenrevolution in Portugal. Es war der Beginn einer neuen Ära der Freiheit und Demokratie in Europa. Heute braucht es eine neue Allianz aller fortschrittlichen Europäerinnen und Europäer, fordern SPD-Chefin Andrea Nahles und Portugals Ministerpräsident António Costa.

Heute vor 45 Jahren, am 25. April 1974, begann in Portugal die Nelkenrevolution. Die Diktatur, die das Land Jahrzehnte lang in seinem festen Griff hielt, wurde gestürzt. Junge Offiziere putschten seit dem frühen Morgen gegen das Regime, besetzten wichtige Einrichtungen im Land und zwangen den damaligen Regierungschef Caetano zum Rücktritt. Vielerorts strömte die Bevölkerung jubelnd auf die Straßen. Nelken wurden als Zeichen der friedlichen Revolution den Soldaten in die Gewehrläufe gesteckt.

Willy Brandt überbrachte Mário Soares die Nachricht

Zum Zeitpunkt des Putsches hielt sich der Vorsitzende der portugiesischen Sozialisten, Mário Soares, gerade in Bonn auf, wo er mit der SPD in Kontakt war und über den Regimewandel diskutierte, der in Portugal in Gange war. Entgegen allen Vorhersagen, dass Spanien als erstes Land zur Demokratie zurückkehren würde, hatte die Nelkenrevolution begonnen, und es war Willy Brandt, der Soares die Neuigkeit überbrachte. 

In den Wochen und Monaten darauf waren es die portugiesischen Sozialisten unter der Führung von Mário Soares, die sich in den Wirren des Umbruchs unbeirrt für den Weg der Freiheit und der Demokratie eingesetzt haben. Gegen Widerstände von rechts wie von links. Unterstützung erhielt die Partido Socialista dabei auch von Willy Brandt und der SPD, die mit den portugiesischen Sozialisten seit deren Gründung im deutschen Exil freundschaftlich verbunden waren.

Portugals Rückkehr in die Gemeinschaft der Demokratien

Für Mário Soares und die Mehrheit der Portugiesen war klar, dass Portugals Zukunft in Europa liegt. Mit dem Slogan „Europa ist mit uns“ gewannen die Sozialisten 1976 die ersten demokratischen Parlamentswahlen und leiteten Portugals Rückkehr in die Gemeinschaft europäischer Demokratien ein. So erinnern wir uns heute an einen historischen Tag für Portugal und für ganz Europa. Die Menschen in Portugal streiften die Ketten der Diktatur ab. Freiheit wählten sie an Stelle von Unfreiheit. Gerechtigkeit an Stelle von Ungerechtigkeit. Und europäische Solidarität an Stelle von nationalistischer Isolierung.

Was in Portugal begann, war für andere Vorbild: 1974 wurden die Obristen in Griechenland, 1975 die Frankisten in Spanien gestürzt. Eine neue Ära der Freiheit und Demokratie war auf unserem europäischen Kontinent eingeläutet. Europa war für viele das Versprechen nach Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Europa bedeutete, Teil einer großen demokratischen Gemeinschaft zu sein, die solidarisch für einander eintritt und die zusammen die Zukunft zum Wohle aller Bürgerinnen und Bürger gestaltet. Miteinander haben wir es seitdem geschafft, den Frieden zu sichern und die Spaltung Europas nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zu überwinden. Wir haben die Binnengrenzen eingerissen, die Demokratie vorangebracht und Wohlstand für viele gemehrt.

Europa tritt auf der Stelle

Heute scheint das europäische Versprechen zu verblassen. Krisen haben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Europa erschüttert. Großbritannien will die EU verlassen. Und Populisten und Nationalisten wollen Europa spalten und das Rad der Geschichte zurückdrehen. Als ob Nationalismus diesem Kontinent je gutgetan hätte. Als ob in einer globalisierten Welt ein Land allein die Herausforderungen überwinden könnte, die sich durch Fragen wie Klimawandel, Terrorismus, Frieden und Sicherheit, künstliche Intelligenz oder Migration stellen.

Und bei alldem tritt Europa auf der Stelle. In 15 Jahren konservativer Führung an der Spitze der Europäischen Kommission und des Rates haben gerade die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa oft das Nachsehen gehabt. Große Konzerne können immense Gewinne abschöpfen, ohne einen fairen Anteil an Steuern zu zahlen. Und verpasster Ehrgeiz beim Umwelt- und Klimaschutz bedeutet, dass die Folgen zunehmend die Bürgerinnen und Bürger belasten.

Europa kann es sich nicht leisten, dass Halbherzige und Zögerliche weiter die Richtung vorgeben. Für viele Konservative und Liberale ist Europa nur noch ein Lippenbekenntnis. Europa ist für sie nur ein Wirtschaftsraum. Einige verdingen sich sogar als Steigbügelhalter europafeindlicher und rechtspopulistischer Parteien.

Das europäische Versprechen erneuern

So darf es nicht weitergehen. Es ist Zeit, dass wir das europäische Versprechen erneuern. Die Bürgerinnen und Bürger sollen wieder Europa als Sehnsuchtsort für eine bessere Zukunft für sich selbst und ihre Kinder wahrnehmen. Das wollen wir anpacken: Mit einem langfristigen Investitionsplan für Arbeit und Innovation. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Europa und unsere Wirtschaft wollen wir unterstützen, die Chancen der ökologischen Wende, der digitalen Revolution und dem Wachstum der künstlichen Intelligenz zu nutzen. Wir wollen deutlich mehr in Forschung, Fortbildung und sichere Jobs investieren. Das muss sich im kommenden mehrjährigen Finanzrahmen wiederfinden.

Und wir wollen Arbeiter und Angestellte schützen: Arbeitsrechte und Sozialstandards müssen in ganz Europa nach oben angeglichen werden, damit die Beschäftigten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Dafür brauchen wir auch armutsfeste Mindestlöhne in allen EU-Staaten. Das Prinzip des gleichen Lohns für die gleiche Arbeit am gleichen Ort muss endlich umgesetzt werden. Schluss mit dem Lohndumping: wer sich nicht an die Regeln hält, muss sanktioniert werden. Und auch Schluss mit dem Wettlauf um die niedrigsten Unternehmenssteuern zwischen den Mitgliedsstaaten: Wir wollen eine Mindestbesteuerung aller Unternehmen und eine Digitalsteuer, damit alle einen fairen Anteil für die solidarische Gesellschaft leisten. Dies ist zentral für Zusammenhalt und Gerechtigkeit in der EU.

Eine Allianz aller fortschrittlichen Europäerinnen und Europäer

Statt Halbherzigkeit braucht es nun mutige Entscheidungen und entschlossenes Handeln in Europa. Wir Sozialdemokraten und Sozialisten sind davon überzeugt, dass nur ein starkes, solidarisches und geeintes Europa eine freiheitliche, gerechte und nachhaltige Politik für die Menschen in Portugal, in Deutschland und in der ganzen EU gewährleisten kann. Wir wollen eine Allianz aller fortschrittlichen Europäerinnen und Europäer. Wir reichen die Hand all denen, die mit uns zusammen Europa stärken und gegen die Ewiggestrigen verteidigen wollen.

Mit dieser neuen fortschrittlichen Mehrheit wollen wir in Europa mehr Gerechtigkeit und Solidarität, mehr Wachstum und bessere Arbeitsplätze, mehr Wettbewerbsfähigkeit und Konvergenz erreichen. Wir müssen auf dem globalen Markt wettbewerbsfähiger werden, aber auch den inneren Zusammenhalt durch eine bessere Koordination unserer Wirtschafts- Sozial- und Umweltpolitik stärken.

Vor 45 Jahren haben uns die Menschen in Portugal deutlich gemacht, welche Errungenschaft das gemeinsame Europa von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit für uns alle ist. Dieses Versprechen wollen wir erneuern. Zum Wohle der Menschen in Portugal, Deutschland und in ganz Europa.

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Kommentare

Europa tritt auf der Stelle

Ja, leider tritt Europa auf der Stelle. Dabei hat die derzeitige Regierung in Portugal bewiesen, dass es ohne die Von Schäuble und Merkel gegenüber den südeuropäischen Ländern praktizierte Austeritätspolitik besser geht.
Dennoch scheint nach 45 Jahren die Nelkenrevolution in Portugal ziemlich in Vergessenheit geraten zu sein...Grândola, Vila Morena...

Und leider hat die SPD im EU-Parlament in großer Koalition mit der EVP, der bekanntlich auch Orbans Fidesz, wenn auch zurzeit die Mitgliedschaft "ruht", angehört, an einigen unschönen Dingen zum Nachteil der Arbeitnehmer*innen und zugunsten der Steuerhinterziehung der Konzerne mitgewirkt.

Wohlstand und Freiheit

Europa hat in 70 Jahren Frieden, Wohlstand, Bildungschancen, Gerechtigkeit und Freiheit für seine Bürger in einem Maße gebracht, den dieser Kontinent nie zuvor gekannt hat. Vielen Bürgern ist dies in 70 Jahren gewachsene Wohlstands- und Freiheitsniveau selbstverständlich, sie kennen nichts anderes und können sich auch gar nichts anderes vorstellen und sich dieser Werte nicht bewußt. Unsere Aufgabe und die unserer Partei muss daher sein, den Bürgern den Wert Europas für sie immer wieder bewußt zu machen und ihn schätzen zu lehren. Das heißt dann auch, den Populisten, Verführern und Dummschwätzern von links und rechts mit Argumenten und Fakten entgegenzutreten und Aufklärung zu betreiben.

WWG

Die Diktatur Portugal gehörte auch schon vor 1974 der "westlichen Wertegemeinschaft" NATO an (wie auch die griechischen und türkischen Diktaturen). Damals war ich bei der Bundeswehr und erinnere mich noch deutlich an das Gezeter der Offiziere, denen der Weg in Richtung Demokratie und sozialistischer Umgestaltung nicht passte.
Auch Helmut Schmidt und Teile des SPD PV taten alles um dem portugiesischen Volk den weg in eine soziale Demokratie schwer zu machen. Von der Entkolonialisierung ganz zu schweigen - Mörderbanden wurden von der WWG, in Tateinheit mit dem Appartheidsystem,ausgerüstet um den Völkern der ehemaligen portugiesischen Kolonien einen selbstbestimmten Weg in die Zukunft unmöglich zu machen

"westlichen Wertegemeinschaft" NATO

Ich war bis 1974 in der Bundeswehr. Von einem "Gezeter" der Offiziere, "denen der Weg in Richtung Demokratie" nicht paßte, habe ich nichts bemerkt. Eher das Gegenteil war der Fall, für die Diktaturen in Portugal, Spanien und Griechenland gab es keine Sympathien. Vielleicht waren Sie aber in der NVA. Es gab aber in der Bundesrepublik ebenso wie in der Bundeswehr und der SPD die Sorge, dass Portugal, Spanien und Griechenland von einer rechten Diktatur in eine linke Diktatur rutschen könnten. Wenn Sie die westliche Wertegemeinschaft in Anführungszeichen setzen und die SPD mit Helmut Schmidt beschuldigen, dem portugiesischen Volk "den Weg in eine soziale Demokratie schwer zu machen", haben Sie damals wohl eine sozialistische Republik wie in Kuba erhofft.

"westlichen Wertegemeinschaft" NATO

Wie können Sie beurteilen, was die Offiziere dem Genossen Armin Christ gesagt haben?

"Gezeter der Offiziere"

Herr Christ spricht von einem "Gezeter der Offiziere" und nicht davon, dass ihm etwas gesagt wurde. Also erst lesen, dann schreiben.

Bundeswehr

Lieber Richard Frey, ich war bei der BUNDESWEHR, nicht bei der NVA; dort hätte man den demokratischen Umsturz in Portugal bestimmt begrüßt.
Überprüfen sie bitte mal die Logik ihrer Argumentation.
Die WWG samt NATO war immer dagegen, daß die Demokratie sich durchsetzt. Länder die da nicht mitmachen werden mit SANKTIONEN beKRIEGt.

Umsturz in Portugal

Bei der NVA hätte man einen demokratischen Umsturz in Portugal ganz sicher nur begrüßt wenn er zu einer "Portugiesischen Demokratischen Republik" nach dem Demokratieverständnis der SED geführt hätte. Das konnte zum Glück verhindert werden. Wenn Sie Sie behaupten, "Die WWG samt Nato war immer dagegen, daß die Demokratie sich durchsetzt", dann ist offenbar Ihr Verständnis von Demokratie das der SED/DIE LINKE, wie es auch von der AfD geteilt wird. Danach haben wir in der Bundesrepublik keine Demokratie. Ich kann Sie und Ihre Mitstreiter, die sich als hier als Sozialdemokraten ausgeben, nur als Verschwörungstheorien verbreitende Trolle mit der von RT vorgegebenen Tonlage aus der Ecke Putin/AfD/DIE LINKE verorten. Mit der SPD können Sie nichts zu tun haben, die wollen Sie ja auch nicht wählen.