Geschichte

SPE-Gründung vor 50 Jahren: Wie eine neue linke Kraft für Europa entstand

Am 5. April 1974 wird der „Bund der sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft“ gegründet – das hat Folgen für Europa, bis heute.

von Thomas Horsmann · 4. April 2024
Willy Brandt und Helmut Schmidt

Starke Sozialdemokraten: Wahlplakat der SPD zur ersten Europawahl 1979

Auf dem Kirchberg in Luxemburg ist im April 1974 das Europäische Parlament zu einer Plenarsitzung zusammengekommen. Es geht um die Festigung der Zusammenarbeit in der Europäischen Gemeinschaft (EG), die 1973 mit Dänemark, Irland und dem Vereinigten Königreich auf neun Mitgliedsstaaten angewachsen ist. Europa ist in der Krise: Das Ölembargo, mit dem sich die arabischen Staaten für die Niederlage Ägyptens und Syriens im Jom-Kippur-Krieg gegen Israel revanchieren, lastet schwer auf Europa. Ölpreise explodieren, Fahrverbote, autofreier Sonntag, die Wirtschaft ist im Krisenmodus.

Erster Vorsitzender der SPE: Wilhelm Dröscher 

Am Rande der Plenartagung treffen sich am 5. April 1974 die Mitglieder des Verbindungsbüros der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in der Europäischen Gemeinschaft und gründen den „Bund der sozialdemokratischen Parteien der EG”. Der Tag des Parteizusammenschlusses gilt als Gründungstag der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE). Zum ersten Vorsitzenden des Bundes wird Wilhelm Dröscher, Präsidiumsmitglied der SPD, gewählt. Der Bund versteht sich „als Instrument zur Unterstützung der Zusammenarbeit der Parteien, das sich die Parteien in freier Entscheidung selbst gegeben haben”, so Dröscher bei der 1. Gipfelkonferenz des Bundes im November 1974.

SPD setzt sich durch

Blick zurück: Während auf dem Gipfel von Den Haag 1969 eine Wirtschafts- und Währungsunion beschlossen wird und Direktwahlen diskutiert werden, tun sich die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien schwer, sich auf eine Form intensiverer Zusammenarbeit zu einigen. Zur Wahl stehen eine eigenständige „Europäische Sozialistische Union” oder der Ausbau der bisherigen Organisationsform des Verbindungsbüros mit autonomen Parteien – was die SPD vorzieht, um sich weiter scharf vom Kommunismus abgrenzen zu können. Schließlich wird der SPD-Vorschlag eines eher lockeren Bundes angenommen.

Wie schwer sich die Parteien tun, zeigt sich daran, dass sie sich nicht auf einen einheitlichen Namen einigen können. Mit der Wahl des Namens definieren sie den Grad der Autonomie im Parteizusammenschluss: „union” in Frankreich und „federatie” in den Niederlanden gehen deutlich weiter, als das distanziertere „confederation” in Großbritannien, „confederazione” in Italien und „samenslutingen” in Dänemark. Die deutschen Sozialdemokraten wählten den Begriff „Bund”. Bemerkenswert ist auch, dass die Labour Party erst 1976 dem Bund beitritt.

Zwei-Drittel-Mehrheit nötig

Die neue Organisation gliedert sich in einen Kongress und ein Verbindungsbüro, das mindestens viermal jährlich zusammentrifft. Es „setzt sich aus je zwei Mitgliedern der angeschlossenen Parteien und dem Vorsitzenden der sozialistischen Fraktion des Europäischen Parlaments zusammen. Jede Mitgliedspartei wie auch die sozialistische Fraktion verfügen über eine Stimme”, heißt es in der Geschäftsordnung.

Der Kongress dient politisch-programmatischen Beschlüssen. Empfehlungen für die Mitgliedsparteien werden mit einer einfachen Mehrheit verabschiedet, verbindliche Beschlüsse mit einer Zweidrittelmehrheit. Voraussetzung: Der Vorschlag wurde einstimmig vom Büro angenommen.

Zur ersten Europawahl 1979 wird eine Wahlplattform zu den Themen Demokratie und Institutionen, Außenpolitik, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik entworfen, die aber nicht verabschiedet wird. Zu unterschiedlich sind die Vorstellungen der Parteien. 1992 befreit sich der Bund aus seinem schwierigen nationalen Korsett und wird zur SPE, einer eigenständigen politischen Kraft in Europa.

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Thomas Horsmann

ist freier Journalist und Redakteur.

 

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