Geschichte

Johann Philipp Becker: Der einzige deutsche Revolutionsgeneral

Er war einer der Protagonisten des Hambacher Fests 1832 und kämpfte in der Revolution 1848. Friedrich Engels war einer seiner engsten Freunde, August Bebel sein Schüler. Vor 225 Jahren wurde der sozialistische Tatmensch Johann Philipp Becker geboren.

von Lothar Pollähne · 20. März 2024
Als „Berufsrevolutionär“ eine Legende in Südwestdeutschland: Johann Philipp Becker

Als „Berufsrevolutionär“ eine Legende in Südwestdeutschland: Johann Philipp Becker

Am 21. September 1848 ruft Gustav Struve im badischen Lörrach die „Deutsche Republik“ aus. Vier Tage später endet dieser Versuch mit der Verhaftung Struves. Die bürgerlich-demokratische Revolution ist damit eigentlich gescheitert, kann aber mit der Einrichtung einer Nationalversammlung einen wesentlichen Erfolg verbuchen. Als das so genannte Paulskirchenparlament im Mai 1849 ebenfalls scheitert, kommt es in deutschen Landes erneut zu Aufständen. Am 11. Mai meutert die Garnison der badischen Bundesfestung Rastatt und setzt damit das Signal für das letzte Aufbäumen der Revolution.

Viele Revolutionäre, wie Wilhelm Liebknecht und Friedrich Engels, missdeuten dieses Ereignis als Auftakt für den gesamtgesellschaftlichen Umsturz. Der Tatmensch Engels schließt sich als Adjutant der Willich’schen Freischar an, die unter der roten Fahne des „Bundes der Kommunisten“ kämpft. Nach verlustreichen Kämpfen gegen die preußische Übermacht unterstellt sich die Freischar Anfang Juli den verbliebenen Truppen der badischen Revolutionsarmee unter der Führung des Generals Johann Philipp Becker, der bald darauf einer der engsten Freunde von Friedrich Engels wird.

Einer der Hauptakteure des Hambacher Fests

Johann Philipp Becker ist in Südwestdeutschland als „Berufsrevolutionär“ eine Legende. Trotz seines jugendlichen Alters ist der am 20. März 1809 im damals französischen Frankenthal als Jean Philippe Becker geborene Bürstenmacher 1832 einer der Hauptakteure während des Hambacher Fests. Mit einer aufputschenden Rede macht er dort auf sich aufmerksam. Gegen die Willkür der Regierenden propagiert Becker: „Es bleibt klar, dass nur die Waffen der Bürger vor solchem Unheil das Vaterland bewahren, dass nur die bewaffneten Bürger kompetente Richter gegen Laune und Willkür sein würden.“

Beckers Schlusswort ist eine revolutionäre Kampfansage: „Das Beste hoffend, aufs Schlimmste gefasst sein. So steht ‚Einer für Alle und Alle für Einen im heiligen Kampf‘.“ Becker kann damit als Agitator des bewaffneten Widerstands gelten. Die Reaktion lässt nicht lange auf sich warten. Gemeinsam mit anderen Aufwieglern wird Johann Philipp Becker vor Gericht gestellt und elf Monate lang inhaftiert.

1838 siedelt Johann Philipp Becker, der ständigen Repressionen überdrüssig, mit seiner Familie in die Schweiz über und versucht sich in verschiedenen Gewerben. 1842 wird er Teilhaber einer Zigarrenfabrik und zeitweise wirtschaftlich unabhängig. 1847 wird er in Biel eingebürgert. Seinen radikaldemokratischen Ideen bleibt er verhaftet. Während des Schweizer „Sonderbundkriegs“, der mit der Errichtung eines Schweizer Bundesstaats endet, kämpft Becker auf Seiten der liberalen Kantone als Adjutant des Befehlshabers Ullrich Ochsenbein und erwirbt sich militärisch-strategische Kenntnisse, die ihm 1849 in Baden zugutekommen.

Erste Arbeitervereine in der Schweiz

Nach der Februarrevolution in Paris, die Becker freudig zur Kenntnis nimmt, gibt er im Dezember 1848 in Bern die Zeitschrift „Die Revolution“ heraus. Daraufhin wird er für zehn Jahre aus Bern ausgewiesen und zieht nach Neuchatel; dort ändert er den Titel des Blattes in “Die -Evolution“, um nicht weiter anzuecken. Die Zeitschrift gibt sich unerbittlich im Kampf gegen das Fürstentum, vertritt die Interessen der „Unteren Volksklassen“ und propagiert eine „Völkerassociation“.

Nach dem Scheitern der badischen Revolution kehrt Johann Phillip Becker in die Schweiz zurück und fasst seine Erfahrungen in der „Geschichte der süddeutschen Mairevolution 1849“ zusammen, die mit vielen militärischen Details gespickt ist. Diese Schrift dient Friedrich Engels als Grundlage für die Schrift „Die deutsche Reichsverfassungskampagne“. Becker erkennt, dass der revolutionäre Kampf alleine nicht geeignet ist, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Er beginnt mit dem Studium frühsozialistischer Schriften und organisiert erste Arbeitervereine in der Schweiz. 1860 nimmt Becker zum ersten Mal Kontakt mit Karl Marx auf. 

Sein praktischer Drang nach demokratischen Veränderungen bringt Johann Philipp Becker 1860 auch an die Seite Garibaldis. Er organisiert in der Schweiz eine deutsche Freiwilligen-Garnison, mit der er in den Kampf um die Einigung Italiens zieht. Zwei Jahre währt dieser revolutionäre Einsatz, dann kehrt Becker in die Schweiz zurück, obwohl ihm die neue italienische Regierung einen gut besoldeten Posten als Oberst andient. Becker verzichtet, weil er keinen „Fürstendienst“ leisten will.

Unumstrittener Kopf der Genfer Sektion deutscher Sprache

In Genf gründet Johann Philipp Becker 1862 den „Eidgenössischen Volks-Verein“ und wirbt als Publizist für die Organisation der deutschen Arbeiter in der Schweiz. Mit Begeisterung begrüßt er 1863 die Gründung des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“ (ADAV). Nach Ferdinand Lassalles Tod 1864 geht Becker auf Distanz zum ADAV, dessen Führung er eine preußenfreundliche und bonapartistische Haltung vorwirft. Johann Philipp Beckers Renommee ist zu dieser Zeit bereits so groß, dass er im September 1864 an der Gründungsversammlung der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ (IAA) in London teilnehmen kann. Im Jahr darauf gründet Becker in Genf die Sektionsgruppe deutscher Sprache der IAA und gibt den „Vorboten“ heraus, für den er Karl Marx und Friedrich Engels als Mitarbeiter gewinnen kann.

Da die deutschen Arbeiterorganisationen zahlenmäßig klein und obendrein innerlich zerstritten sind, wird die Genfer Sektion zum Bezugspunkt für viele Arbeitervertreter aus deutschen Landen – und Johann Philipp Becker ist deren unbestrittener Kopf. Karl Marx schreibt dem „lieben, besten Becker“: „Die deutschen Sektionen werden am besten tun, sich einstweilen in Genf aufnehmen zu lassen und mit Dir in fortlaufende Verbindung zu treten. Sobald sich Derartiges ereignet, zeige es an, damit ich irgendeinen Fortschritt in Deutschland hier endlich mitteilen kann.“

Lebenslange Freundschaft zu August Bebel

1865 besucht August Bebel Johann Philipp Becker in der Schweiz und sieht sich sogleich als dessen Schüler. Nach diesem Besuch versteht sich Bebel als „Sozialist“, wie er in seinen Erinnerungen schreibt. Das Treffen begründet eine lebenslange persönliche Freundschaft, die von kritischem Respekt geprägt ist. Dies bringt Bebel in seinen Erinnerungen zum Ausdruck: „Der alte Jean Philipp war ein prächtiger Kerl, opferbereit, hingebend, unermüdlich bei Tag und Nacht, ein Haudegen, der wie 1848 und 1849 als Oberst eines Freischarenregiments jetzt wieder bereit gewesen wäre, zu Pferde zu steigen. Auch wusste er aus seinem sehr bewegten Leben eine Menge Geschichten, Schnurren und Anekdoten zu erzählen, die er in äußerst lebendiger Weise zum Vortrag brachte“. Von Beckers organisatorischen Fähigkeiten hält Bebel wenig. „Seine (Beckers) lange Abwesenheit aus Deutschland hatten ihn den deutschen Verhältnissen entfremdet.“ 

Das ist nicht ganz zutreffend, denn Johann Philipp Becker ist als Vertreter der deutschen Sektion der IAA im August 1869 neben August Bebel und Wilhelm Liebknecht einer der wichtigsten Delegierten auf dem Gründungskongress der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands“ (SDAP). Die Wochen vor der Parteigründung sind von Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Arbeiterorganisationen geprägt. „Der deutsche Sozialistenkongress in Eisenach macht mir viel Arbeit“, schreibt Becker. „Alles ist eben im Gärungsprozess begriffen und kann es dabei nicht immer ganz säuberlich hergehen. Es ist nur dafür zu sorgen, dass es eine Rein- und keine Faulgärung gibt, dass klarer Wein und kein trüber Essig dabei herauskommt.“

Becker selbst trägt mit einen ungewöhnlichen Antrag nicht dazu bei, zwischen rein und trüb eine klare Trennung vorzunehmen: Als Anerkennung der Errungenschaften des ADAV schlägt Becker den versöhnlerischen Parteinamen „Allgemeiner deutscher sozialistisch-demokratischer Arbeiterverein, Bestandteil der internationalen Arbeiterassoziation“ vor. Damit kann er sich nicht durchsetzen. Sein Vorschlag dem zu gründenden Parteiorgan den Titel „Der Volksstaat“ zu geben, findet dagegen den Beifall der Delegierten.

Der einzige deutsche Revolutionsgeneral 

Bis zum Zerfall der Internationalen Arbeiter-Assoziation nimmt Johann Philipp Becker an allen seinen Tagungen teil und setzt sich aktiv mit dem Anarchisten Michael Bakunin auseinander, für den er anfänglich Sympathien gehegt hatte. Danach bleibt für Becker nur die Rolle eines korrespondierenden Mitstreiters der Arbeiterbewegung, denn öffentliche Auftritte werden selten. Dafür mehren sich die Besuche alter Kampfgefährten beim „lieben, besten Becker“. Auch Karl Marx besucht ihn 1882.

Im hohen Alter von 77 Jahren unternimmt Johann Philipp Becker im Herbst 1886 seine letzte Reise durch Europa, die ihn nach Paris und London führt. Kurz darauf stirbt er am 9. Dezember in Genf. Am selben Tag verfasst Friedrich Engels in London einen Nachruf auf den alten Freund. „In Becker haben wir den einzigen deutschen Revolutionsgeneral verloren, den wir hatten. Das war der Mann, der an den Freiheitskämpfen von drei Generationen ehrenvoll teilgenommen. Die Arbeiter werden sein Andenken treu bewahren als das eines ihrer Besten.“

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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