Geschichte

25. April 1974: So kam es zur Nelkenrevolution in Portugal

Am 25. April 1974 stürzte das Militär in Portugal Diktator Oliveira Salazar. Die Unzufriedenheit in der kämpfenden Truppe war vor allem wegen der Kolonialkriege immer größer geworden. Der Weg in die Demokratie war jedoch weit.

von Klaus Wettig · 25. April 2024
Weil sie die Soldaten in ihre Gewehrläufe steckten, wurde die Nelke zum Symbol der Revolution in Portugal 1974.

Weil sie die Soldaten in ihre Gewehrläufe steckten, wurde die Nelke zum Symbol der Revolution in Portugal 1974.

Niemand hatte mit einem Putsch gegen die portugiesische Diktatur gerechnet. Soweit überprüfbar kein westlicher Geheimdienst. Die seit 48 Jahren bestehende Diktatur unter Oliveira Salazar und seinem Nachfolger Marcelo Caetano galt als gefestigt. Man wusste, dass es in Portugal eine überwachte Opposition gab, auch eine im Untergrund tätige Kommunistische Partei, doch Kraft für einen Umsturz wurde dieser Opposition nicht zugetraut.

Dafür sorgte der effiziente Geheimdienst PIDE, der Oppositionelle, die gefährlich werden können, wegsperrte. Einige hundert saßen in den Gefängnissen. Nachhaltig wirkte auch das System der Ausbürgerung, das den Sozialistenführer Mário Soares traf, der aus Portugal verbannt wurde.

Die Freiheit im eigenen Land missachtet

Stabilisiert wurde dieses umfassende System der Machtsicherung durch die internationale Anerkennung Portugals, das 1949 zu den Gründungsmitgliedern der NATO gehörte. Portugal war Teil der Koalition der Freiheit, obwohl im eigenen Land die Freiheit missbraucht wurde. Die Republik Portugal stand außerhalb der demokratischen Mitgliedsstaaten der NATO.

Auch die Kolonialkriege, die Portugal seit 1961 in seinen Kolonien Angola, 
Guinea-Bissau und Moçambique, begrenzt auch in Ost-Timor, gegen die Unabhängigkeitsbewegungen führte, standen nicht im Zentrum der politischen Berichterstattung, die sich auf den Vietnamkrieg konzentrierte, obwohl die portugiesischen Kriege nicht weniger brutal geführt wurden.

Es gab sogar Verständnis für die Politik Portugal, schließlich sollte Afrika gegen kommunistische Unabhängigkeitsbewegungen verteidigt werden, denn die Unterstützung aus der Sowjetunion, die die kämpfenden Gruppen erfuhren, belegte im schlichten Urteil, dass Portugal in Afrika für ein Bollwerk gegen den Kommunismus kämpfte.

Die Unzufriedenheit innerhalb der Armee wächst

Mit eigenen Ressourcen hätte Portugal diesen Mehrfrontenkrieg nicht lange führen können. Das gelang nur mit finanzieller und technischer Hilfe der Vereinigten Staaten, die ihre afrikanischen Interessen bedroht sahen. Portugal hatte die Last der kämpfenden Truppe zu tragen, was das kleine Land mit zunehmender Dauer der Kriege an die Grenze seiner menschlichen Belastbarkeit führte. War ein Wehrdienst von vier Jahren schon schwer zu begründen, so erodierte die Zustimmung zum Regime zunehmend durch die von Soldaten und Veteranen zu tragenden Folgen aus den Tropenkriegen.

An diesem Punkt setze die wirksamste und folgenreichste Kritik an den Kolonialkriegen an. Nicht nur einfache Soldaten erlitten Verletzungen und erkrankten, auch die Todesfälle häuften sich. 
Auch Offiziere der unteren Dienstgrade waren betroffen, sodass die Unzufriedenheit im Offizierskorps wuchs. Es entstand die ,,Bewegung der Hauptleute‘‘ (movimento dos capitães), die zunächst nur für einen höheren Sold eintrat, Schritt für Schritt aber politische Ziele formulierte. Die politischen Köpfe der Bewegung entwickelten daraus die Idee des Putsches, denn auf einen Wandel des Regimes vertrauten sie nicht.

Das Jahr Null der Nelkenrevolution

Nach einem Test war es dann kurz nach Mitternacht am 25. April 1974 soweit. Als vom katholischen Sender ,,Rádio Renascença‘‘ das verbotene Lied ,,Grândola, Vila Morena‘‘ gesendet wurde, starteten Panzerregimenter. Sie besetzten wichtige Schaltzentren und räumten die geringe Gegenwehr beiseite. Schon am Mittag des 25. April war die Diktatur zusammengebrochen. Die erfolgreichen Soldaten steckten Nelken, die Frühjahresblume Portugals, in ihre Gewehrläufe.

Nun begann das Jahr Null der ,,Nelkenrevolution‘‘ mit Krisen der Revolutionsregierung, mit rechten Gegenputschen und einer anwachsenden Macht des militärbestimmten Revolutionsrates, den nun die ,,Bewegung der Streitkräfte‘‘ (movimento das forças armadas) stützte. Unübersehbar war dort der Einfluss kommunistisch orientierter Offiziere. Wenn Portugal nicht in diese Richtung abdriften sollte, musste es eine wirksame Unterstützung für die demokratischen Kräfte in Portugal geben.

Der weite Weg zur Demokratie

Es war ein Zufall, dass mit kräftiger Nachhilfe der SPD 1973 in Bad Münstereifel aus verstreuten politischen Gruppen die Sozialistische Partei Portugals gegründet wurde, die nun mit umfassender finanzieller und organisatorischer Unterstützung aus der Bundesrepublik zur zentralen Partei bei dem Weg in die Demokratie wurde. Ohne diese Hilfe wäre ihr Generalsekretär Mário Soares nicht zum wichtigsten Träger des Weges in die Demokratie geworden.

Bis zu einer gefestigten Demokratie war es noch ein weiter Weg. Der Einfluss der Kommunistischen Partei musste gebrochen werden; auch rechte und kommunistische Putsche warnen zu überstehen. Der Revolutionsrat aus Militärs musste den Übergang in die Zivilgesellschaft akzeptieren, was 1986 erreicht wurde, als Mário Soares als gewählter Staatspräsident einen General ablöste, Schon 1985 konnte Portugal der EG beitreten. Mário Soares hatte als Ministerpräsident diesen Beitritt eingeleitet.

Autor*in
Klaus Wettig

war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.

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2 Kommentare

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Do., 25.04.2024 - 18:26

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Mein Dank an die Redaktion, dass sie zum 50. Jahrestag der Nelkenrevolution mehrere Berichte bringt, weil sie in anderen Medien mehr oder weniger tot geschwiegen wird. In dem Beitrag von Arte vergangene Woche wurde z.B. mit keinem Wort der Revolutionsrat erwähnt.

Interessant zu erwähnen ist hierbei das Zitat des damaligen Offiziers aus dem Revolutuonsrat Otelo de Carvalho " er hätte die Revolution von 1974 nicht gemacht, wenn er gewusst hätte, wie das Land jetzt dastehen würde. (Als unter einer konservativen Regierung Armut herrschte und die EU gegenüber den südeuropäischen Ländern die Austerität praktizierte.) Weiter sagte er, dass ihn jeden Tag die Menschen auf der Straße bäten, „nochmal einen 25. April, einen weiteren Militärputsch“, auszurufen.

Dass die Gefahr der Unterwanderung durch die stalinistisch orientierte KP bestand, ist mir noch aus dieser Zeit erinnerlich. Diese Problematik hat Klaus Wettig im Jahre 2013 in Lissabon sehr gut erläutert.

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Fr., 26.04.2024 - 08:47

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Ich erinnere mich noch gut an die Nelkenrevolution vor 50 Jahren, bei der wir die Nachrichten sorgfältig verfolgten und uns gefreut haben, dass eine Diktatur in Westeuropa gestürzt wurde. Viele Bekannte machten daraufhin Urlaub in Portugal und organisierten Plakate, z.B. mit der Aufschrift "Die Nelken brauchen Wasser", die sie über Umwege nach Deutschland beschafften, weil sie an der spanischen Grenze, wo Franco noch herrschte, beschlagnahmt worden wären.

Bei einem Besuch in Lissabon im Jahre 2013 konnten wir die Carmo Kaserne mit einer Ausstellung der Revolution besichtigen.